"Heute schien die Sonne. Gern wäre sie mit den Kindern hinausgegangen.
Als sie sich in der Firma zur Pflege der Kinder krank gemeldet hatte, hatte sie sich etwas Arbeit mit nach Hause genommen, um nicht so viel Rückstand zu bekommen.
Nun lag alles auf dem Tisch, genau dort, wo sie es heute Morgen hingelegt hatte.
Sie war mit den Kindern beim Arzt gewesen, und hatte das Rezept in den Briefkasten für die Apotheke geworfen. Zum Glück hatte sie noch etwas von der gleichen Medizin zu Hause gehabt, welche die Kinder verschrieben bekommen hatten. Als sie wieder zu Hause war, hatte sie den Kindern etwas davon geben können und sie dann ins Bett gelegt. So konnten sie sich ausruhen. Die Kinder hatten dann auch etwas geschlafen. In der Zwischenzeit hatte sie einiges an Hausarbeit erledigen können.
Das Fieber der Kinder war gesunken, während sie geschlafen hatten. Nun quengelten sie und wollten eine Geschichte hören.
Also, die Arbeit später erledigen.
Sie machte für alle Kakao und probierte ob der Kuchen, welchen Sie gebacken hatte, schon abgekühlt war. Er war kalt genug. Sie schnitt einige Stücke ab, legte sie auf einen Teller und brachte alles ins Zimmer der Kinder. Diese jubelten laut und machten auf ihren Betten schon einmal Platz, damit sie sich hinsetzen konnte.
Tja, es war einmal....
So begann sie. Nachdem sie jedem Kind einen Teller mit Kuchen und eine Tasse Kakao gegeben hatte. Der Kuchen wurde natürlich nicht über dem Teller gegessen. Warum auch.
Dass sie den Kuchen im Bett gegessen hatten, würden die Kinder noch bereuen.
Warum? Oh, die Geschichte würde sie ein anderes Mal erzählen, falls die Beiden es bis dahin nicht selbst bemerkt hatten.
“Nein, nein, nein”; riefen die Kinder gleich.
Kein Märchen.
Erzähl uns die Geschichte, welche dir Uropa immer erzählt hat.” riefen die Beiden wie aus einem Munde.
"Gut, dann eben die Geschichte von der “Blauen Blume”".
"Neeeein. Die doch nicht." Die kleine Rosalie verdrehte die Augen. Verstand die Mama denn gar nichts?
"Was wollt ihr denn dann für eine Geschichte hören."
"Na, die vom Spatzenfritz." platze Oskar heraus.
"Aber die Geschichte vom Spatzenfritz ist doch kein Märchen."
"Du sollst doch auch gar keine Märchen erzählen."
Rosalie verdrehte wieder die Augen. Mama war wirklich heute schwer vom Begriff.
Aber vielleicht war die Mama ja auch krank?
Sie setzte sich auf und legte ihre Hand auf die Stirn der Mutter. Genauso wie diese es immer tat, wenn sie bei ihr oder Oskar prüfte, ob sie Fieber hatten. Rosalie spürte zwar die Wärme der Haut, konnte aber nicht sagen, ob auch die Mutter Fieber hatte.
Trotzdem rief sie ganz laut: "Mama, du hast ja Fieber. Du bist krank. Ganz klar das Du immerzu die falsche Geschichte erzählen willst"
Während Rosalie noch darüber nachdachte, wie es sich wohl tatsächlich anfühlen mochte, wenn die Mutter Fieber hatte, begann diese schon mit der Geschichte.
...Stellt euch einmal eine Zeit vor, als es noch Lehrer gab, welche als Respektsperson und eine der Honoratioren der Stadt galten. Eine Zeit, als man sich noch gegenseitig grüßte.
"Guten Tag Herr Lehrer." "Guten Tag Frau Schulze." "Guten Tag Peter." So mögen sie sich vielleicht begrüßt haben, wenn sie sich begegnet sind. Der Lehrer hat dabei seinen Hut gezogen und sich leicht verbeugt. Frau Schulze machte einen Knicks oder verbeugte sich ebenfalls leicht. Und Peter. Naja, der Peter, der nahm auch seine Mütze vom Kopf und verbeugte sich und grüßte.
Zu dieser Zeit lebte auch ein Junge mit dem Namen Friedrich in der Stadt.
Warum heißt er Friedrich und nicht Johann?; fragte Rosalie, wie immer an dieser Stelle.
"Ja, er könnte auch Johann geheißen haben, oder er hatte einen anderen Namen", antwortete die Mutter.
Für unsere Geschichte ist der Name Friedrich aber sehr gut geeignet. Gerufen haben ihn alle aber nur Fritz.
Aber kommen wir wieder zurück zu unserer Geschichte.
Eines Tages, als der Lehrer in der Schule gerade über die Natur sprach, verbot er bei dieser Gelegenheit den Kindern die Schule zu schwänzen und Vogelnester auszunehmen. Manche Knaben machten das, hatte er bemerkt.
Aber unser Fritz machte sich nichts aus diesem Verbot.
Im Gegenteil er kam gerade dadurch erst auf die Idee. Er machte sich gleich am nächsten Tag auf den Weg in den Wald, um ein Nest zu suchen in, welchem sich noch junge Vögel befanden. Er fand auch eines und nahm die fast flüggen Vogeljungen aus dem Nest und mit nach Hause.
Die Eltern der jungen Vögel, versuchten laut schimpfend und flügelschlagend ihre Küken zu verteidigten. Aber Fritz scheuchte sie einfach beiseite.
Dann legte er die Vogeljungen in seine Mütze, nahm diese in den Arm und machte sich auf den Weg nach Hause. Dabei malte er sich aus, was er mit den Vogeljungen machen würde. Lecker wären sie in der Pfanne - knusprig gebraten. Hmmmm... So mochte er sie am liebsten. Aber der Lehrer meinte, man würde die Tiere a u s r o t t e n wenn man sie fing um sie aufzuessen. Als ob es besser wäre wenn die erwachsenen Vögel sich über die Ernte hermachten und die Familie dann im Winter nicht genug Korn fürs Brot hatte.
Als er die ersten Häuser erreichte, bemerkte er, dass ihm der Lehrer entgegen kam. Die Schule war bereits vorbei und auch der Lehrer wollte einen Spaziergang im Wald machen. Vorher war er noch bei der Mutter von Fritz gewesen und hatte gefragt, warum denn der Fritz nicht in der Schule gewesen war. Diese war ganz erstaunt von der Nachricht, dass Fritz in der Schule gefehlt hatte, denn sie hatte ihn am Morgen rechtzeitig losgeschickt. Anschließend ging er Richtung Wald einen Spaziergang machen. Vielleicht hatte er aber auch eine Idee, warum der Friedrich nicht in der Schule war und wo er sich rumtrieb. Ein Lehrer kennt ja so seine Pappenheimer.
Was sollte unser Fritz jetzt nur tun? Wie konnte er es vermeiden, dass der Lehrer die Vögel entdeckte?!
Da hatte er eine Idee. Schnell setzte er die Mütze wieder auf den Kopf. Die jungen Vögel steckte er darunter.
"Auweia", rief Oskar.
Dabei dachte er sich; ‘so ist es gut’. Sprach die Mutter weiter ohne sich von Oskars Einwurf unterbrechen zu lassen.
Nun war Fritz aber in der nächsten Zwickmühle.
Der Lehrer kam immer näher.
Bald würden sie sich so Nahe sein, dass Fritz den Lehrer grüßen müsste. Dazu müsste er auch die Mütze wieder abnehmen und “Guten Tag Herr Lehrer” sagen.
Aber schon viel unserem Fritz wieder etwas ein.
Er würde einfach die Mütze nicht abnehmen und so tun, als ob er den Lehrer gar nicht sehe.
Gesagt, getan.
Als sie sich so Nahe waren, dass Fritz den Lehrer hätte begrüßen müssen, machte er es so, wie er es sich vorgenommen hatte.
Er schaute einfach in die andere Richtung und ließ die Mütze schön auf seinem Kopf.
"Der war aber dumm", meinte Oskar. Der Weg im Wald ist doch nur sooo breit. Dabei streckte er beide Arme nach rechts und links aus, um zu zeigen, dass der Weg ja gar nicht so breit war. "Wie soll man sich da nicht sehen."
Unbeirrt erzählte die Mutter weiter.
Der Lehrer ärgerte sich sehr über einen solchen Verstoß gegen die guten Sitten und den Anstand. Schließlich war er für die Erziehung auch dieses Knaben verantwortlich.
Er ging also auf den Knaben zu und stellte ihn zur Rede, warum er nicht in der Schule gewesen war.
Fritz stotterte herum und nahm die Mütze immer noch nicht ab.
Der Lehrer hatte natürlich das Geschrei der Spatzeneltern bemerkt. Diese waren dem Knaben ein gutes Stück gefolgt, und versuchten ihn von den Vogeljungen abzulenken. Der Lehrer wollte dem Knaben noch eine Gelegenheit geben, sein Fehlverhalten einzugestehen. Dazu stellt er den Knaben zur Rede. Vielleicht hatte er ja schon von den neuen Methoden gehört. Dass man Kinder nicht mehr einfach schlug, sondern ihnen im Gespräch und durch Ermahnung eine Möglichkeit gab ihr Fehlverhalten einzusehen und zu ändern.
Als Fritz aber weiterhin nur bockig reagierte, riss der Lehrer ihm die Mütze vom Kopf und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
Es war damals so üblich, dass man Kinder auch körperlich züchtigte, um sie zu erziehen.
Als er dem Knaben die Mütze vom Kopf gerissen hatte, purzelten die Spatzen natürlich gleich herunter und versuchten sich zu verstecken.
Fritz, der sich trotz allem ungerecht behandelt fühlte, lief heulend nach Hause. Dort lief er zuerst der Mutter in die Arme. Dieser wollte er erzählen, dass der Lehrer ihn geschlagen hätte, und was der Lehrer doch für ein böser Mensch war.
Nein, bevor unser Fritz auch nur ausgesprochen hatte, gab sie ihm ebenfalls eine Ohrfeige.
Auuuuh. Heulte unser Fritz.
Denn, sie wußte ja schon durch den Besuch des Lehrers und dem Bericht der Geschwister, das er gar nicht in der Schule gewesen war. Und der Lehrer hatte besonders darauf hingewiesen, dass der Fritz in der Schule keine besondere Leuchte war. Auch hatte er gefragt was denn aus dem Jungen mal werden sollte, wenn er auch noch das bischen versäumte.
Der Lehrer hatte sie ermahnt, doch ihre Kinder richtig zu erziehen und darauf zu achten, dass sie immer pünktlich und sauber zur Schule kamen. Und natürlich auch fleißig zu lernen. Schließlich sei Gehorsamkeit und Pünktlichkeit eine sehr wichtige Bürgerpflicht. War ja klar.
So dachte man in der vergangenen Zeit, von welcher ich euch gerade erzähle.
Unserem Fritz war nun ganz schön bange davor, dass der Vater nach Hause kommen würde. Als es nun Abend wurde und der Vater nach Hause kam, berichtete die Mutter ihm, was der Fritz so angestellt hatte. Und tatsächlich versohlte ihm der Vater auch noch den Hintern.
Auuuh. Warf Oskar ein. Der sich an eine Rauferei mit einem anderen Jungen erinnerte, und wie weh doch der eine oder andere Schlag getan hatte.
Unser Fritz heulte nicht nur pflichtschuldigst, sondern weil es tatsächlich weh tat. Aber der Vater tat noch etwas anderes. Nach dem sich alle etwas beruhigt hatten, ließ der Vater den Fritz und seine anderen sieben Geschwister antreten und erklärte ihnen umständlich, dass es ihre Aufgabe wäre, in der Schule fleißig zu lernen. Schließlich würde er sich 6 Tage in der Woche 16 Stunden am Tag plagen, damit die Familie das Schulgeld aufbringen könne und die Kinder mal etwas ordentliches lernen könnten. Denn es solle ihnen doch einmal besser gehen als den Eltern heute.
Die Geschichte sprach sich im Ort natürlich rum.
Und seit dieser Zeit wurde Fritz von allen nur noch Spatzenfritz genannt.
Als man viele Jahre später eine neue Schule baute, erinnerte man sich wieder an die Geschichte. Und baute in eine Mauer des Hauses eine Skulptur, die aussieht wie unser Spatzenfritz.
Mit dem Nest und der Mütze auf dem Kopf, für die Flausen welche Kinder manchmal ausbrüten. Und den Spatzen, welche diese Flausen sind. Aber auch mit der Eule der Weisheit im Genick. Denn Schule soll nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch erziehen.
Aber auch eine Zuckertüte bekam die Figur in den Arm gedrückt. Wie bei den richtigen Kindern. Schließlich besteht Schule nicht nur aus Plackerei.
Nebenbei bemerkt war es unser Fritz, welcher die Bauunterlagen für die Schule erarbeitete. Er war nämlich nicht nur Maurer geworden sondern ein Meister in seinem Fach.
Wenn Du die Geschichte vom Spatzenfritz so erzählst, dann mußt du auch das Gedicht vom Spatzenmichel erzählen.
Überrascht schaute sie auf.
Denn sie hatte nicht bemerkt, dass Ihr Mann nach Hause gekommen war.
Sie stand vorsichtig auf. Die Kinder waren inzwischen wieder eingeschlafen. Die Krankheit forderte immer noch ihren Tribut.
Sie versuchte vorsichtig die Krümel aus den Betten zu streichen, und deckte die Kinder wieder zu. Dann nahm Sie das Geschirr weg. Während sie das Zimmer verließ, dachte sie über die Geschichte nach, welche sie den Kindern beim nächsten Mal erzählen würde. Vielleicht die Geschichte, "Warum man Brot und Kuchen nicht im Bette ißt."
Falls sie es bis dahin nicht schon selbst herausgefunden hätten.