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"Mama, Mama erzähl uns eine Geschichte."
Es war Nachmittag. Einer jener Nachmittage wie viele andere auch. Sie hatte die Kinder aus dem Kindergarten und vom Hort abgeholt. War nach dem Einkaufen mit ihnen auch noch Eisessen gegangen. Nun wollte sie nach Hause und alles wegstellen. Die Kinder könnten dann bis zum Abendessen noch etwas spielen.Nun war es anders gekommen. Sie bat Oskar die Pizza in den Gefrierschrank zu legen. Dann schnitt sie einen Apfel in Stücke, für sich und die Kinder. Nahm alles und ging in die Wohnstube. Die Kinder folgten ihr auf dem Fuß und sprangen vor Freude dabei auf und ab.
Es war einmal. Nicht gestern oder vorgestern. Sondern schon vor langer, langer Zeit. Damals als Riesen und Zwerge hier noch überall lebten.
"Mama." Unterbrach Rosalie sie. "Nicht die Geschichte vom Riesen. Erzähl uns die Geschichte von der 'Blauen Blume'."
"Aber die Geschichte von der 'Blauen Blume' fängt doch genauso an." Sagte sie. "Du schwindelst. Papa hat die Geschichte ganz anders erzählt." meinte Oskar.
"Gut, dann laßt euch die Geschichte von Papa erzählen." Sie schmunzelte innerlich. Auch wenn sie nach außen hin todernst blieb. "Die Kinder hätten sie ja nicht gefragt, wenn sie bis zum Abend auf ihre Geschichte warten wollten.
"OoooooKeeeeei" lenkte Oskar ein. "Dann erzähl Du die Geschichte."
Einst weidete ein junger Hirt auf der Wiese, welche am Fuße des Kohlbergs ist, seine Schafe,
"Mama. Wie geht das denn? Papa hat gesagt dort ist der See." meinte Oskar plötzlich.
"Ja, heute ist dort der Stausee. Aber als unsere Geschichte begann, war dort nur eine Wiese und ein Bach."
Sie begann noch mal von vorn.
Einst weidete ein junger Hirt auf der Wiese, welche am Fuße des Kohlbergs ist, seine Schafe, als er plötzlich ein weiß gekleidetes Mädchen erblickte.
Dieses Mädchen war gar nicht weit von ihm dabei Blumen zu pflücken und zu einem Strauße zu ordnen. Scheu und furchtsam beobachtete er die Jungfrau lange und wollte sich gerade entfernen, als sie näher zu ihm trat.
Sie sah ihn freundlich an und ließ eine schöne blaue Blume vor seine Füße fallen.
Das gab ihm seinen Mut wieder. Er nahm die Blume, küsste ihre Blätter und steckte sie an seinen Hut. Lächelnd winkte die Maid dem Schäfer, ihr zu folgen. Unbesorgt folgte er ihr, als sie den Berg hinauf stieg.
Da, vor einem breiten Felsenspalt, blieb sie stehen.
Sie sah sich um und winkte dem Jüngling zu ihr zu folgen.
Sie schritt weiter voran in einen unterirdischen Gang, der sich hier auftat.
Einen Augenblick zögerte er, ihr zu folgen.
Er kannte den Berg gut. Noch nie hatte er hier einen solchen Gang bemerkt.
Dann aber fasste er Mut und eilte ihr nach.
Dichte Dunkelheit umgab ihn, doch das schimmernde Gewand der unbekannten Maid war sein Leitstern.
So schritten sie beide dahin und gelangten endlich vor eine Tür.
Diese sprang mit lautem Krachen auf, als die Jungfrau diese mit einer ihrer blauen Blumen berührte. Und der Schäfer stand nun vor einem hell erleuchteten Gewölbe, die Jungfrau aber war verschwunden. Er trat hinein und betrachtete mit Staunen die Gegenstände, die ihn hier umgaben. Aus den seltensten Marmorarten war der Fußboden des weiten Gewölbes zusammengefügt. In der Mitte stand eine Säule von der Stärke einer hundertjährigen Eiche; sie reichte vom Boden bis zur Decke und bestand aus gediegenem Golde. Vom Fuße bis zur Spitze zog sich eine Schlangenlinie von eingesetzten Edelsteinen herum, deren strahlenden Glanz seine Augen kaum zu ertragen vermochten. Die Wände bestanden aus einer großen Zahl von stattlichen Spiegelgläsern, welche in goldene Rahmen gefasst waren. Auch diese waren mit funkelnden Diamanten besetzt. Goldplatten, mit Perlen übersät, bildeten die obere Wölbung der Decke. Doch ein noch weit größerer Reichtum lag auf dem Marmorboden ausgebreitet. Nur ein schmaler Weg führte durch die ungeheueren Haufen von Goldstücken, Edelsteinen und Perlen.
Lange stand der Schäfer unbeweglich, schaute die unermesslichen Schätze an, und in ihm erwachte die Begierde, einen Teil dieser Reichtümer zu besitzen, aber er wagte es nicht, seine Hand nach den Goldhaufen auszustrecken.
Da ertönte eine weibliche Stimme: "Nimm, was dein Herz begehrt!"
Nun säumte er nicht länger.
Er füllte seine Schäfertasche mit Gold und steckte dann in die Taschen seiner Kleidung ein, soviel sie fassen konnten. Auch den Hut wollte er noch füllen, riß ihn vom Kopfe. Dabei bemerkte er aber nicht, dass dabei die von der Jungfrau erhaltene Blume auf den Marmorboden fiel.
Nachdem er noch genommen, was er im Hute davontragen konnte, sah er sich nach dem Rückwege um.
Zu seiner großen Freude bemerkte der Jüngling, dass jetzt auch der Eingang erleuchtet war.
Hastig lief er trotz seiner schweren Last hinaus. Dabei achtete er nicht auf die Stimme, die jetzt abermals ertönte und ihm nachrief: "Vergiß das Beste nicht!"
Glücklich gelangte er wieder im Tale an. Seine Schafe weideten immer noch friedlich. Er setzte den schweren Hut ab, den er zwischen den Armen hielt.
--- Dann durchfuhr ihn ein gewaltiger Schrecken, denn im Hute befand sich statt des gesammelten Goldschatzes nur noch wertloses Gestein. Schnell griff er nach der Schäfertasche und schüttete sie aus, aber auch deren Inhalt waren Steine. Hastig leerte er auch die Taschen seiner Kleider, und wieder fielen Steine auf den Boden.
Nun gedachte er der warnenden Stimme, die ihn gemahnt hatte, das Beste nicht zu vergessen.
Er erinnerte sich auch an die Blume, die er an seinen Hut gesteckt hatte. Vergeblich suchte er danach, sie war verschwunden.
Zornig über sich selbst, daß er, von Goldgier verblendet, die Warnung unbeachtet gelassen hatte, eilte er nochmals den Berg hinauf, um, wenn möglich, die Blume und neue Reichtümer zu holen.
Aber soviel er auch nachforschte.
So sorgsam er auch jeden Busch durchspähte, der Eingang zu dem unterirdischen Gewölbe, war und blieb verschwunden.
Jetzt wußte er, wer die Jungfrau war. Die Schloßjungfrau.
So oft er konnte hütete er seine Schafe am Kohlberg.
Aber nie sah er die Jungfrau wieder.
....